Mittwoch, 31. Juli 2013

20./21. April, Heimreise

Blipp, blipp, blipp! Ein nervtötendes Geräusch dringt in mein schlafumnebeltes Bewusstsein und unangenehme Nässe spritzt im gleichen Takt auf mein Gesicht. Unwillig wische ich mir mit dem Schlafsack über die Wangen, doch sofort werden sie erneut betropft, das Geblippe wird schneller, ja geradezu hektisch. Wie von der Tarantel gestochen (obwohl diese ja beisst), fahre ich hoch und stelle entsetzt fest, dass der seit gestern Abend munter plätschernde Regen mittlerweile Zugang zu unserer Schlafhöhle gefunden hat. Er bahnt sich seinen Weg durch eine vollgesogene Stelle im Zeltdach, rinnt in beständigen Bächlein zwischen den beiden Therm-A-Rests hindurch und sammelt sich betulich am Fußende unserer Schlafsäcke. Na toll! Ich erwache aus meiner Schlaflethargie, schnappe mir die stets griffbereite Klorolle und beginne zu wischen. Phchrsch, phchrsch, phchrsch, nächstes Zellstoffknäuel, phchrsch. Heinz grunzt und zieht sich seinen Schlafsack über den Kopf, unter dessen Daunen plötzlich ebenfalls ein stetiges „Phchrsch“ ertönt. Uih, Heinz wischt auch – braver Schneck, denke ich erfreut, als mir im selben Moment ein winziger, sehr damenhafter Pups entfleucht. Bfffrrt, echot es unter Heinz’ Decke hervor. Habe ich da gerade richtig gehört? Scheint so, denn als ich erneut zu wischen beginne, ertönt abermals eine gelungene Nachahmung meiner Trocknungsgeräusche – und ich sehe Heinz’ Hand, wie er mit den Fingernägeln über seine Therm-A-Rest schabt. Na warte, Pursche! Liegt da genervt neben mir und äfft mich auch noch nach! Etwas gekränkt tupfe ich leise die letzte Nässe auf, platziere die Klorolle unter dem Leck und hülle mich grummelnd wieder in meinen Schlafsack. Das allerdings hätte ich mir sparen können. Ich bin noch nicht mal ansatzweise wieder eingeschlafen, als allmählich Tageslicht ins Zelt sickert und Annette und Jochen zu rascheln und mit Geschirr zu klappern beginnen. Heinz hingegen schnarcht friedlich neben mir.

Betrübliche Aussichten…
in alle Richtungen
Überall steht das Wasser










Boshaft grinsend ziehe ich genüsslich meine Nägel über seine Schlafmatte – direkt neben seinem Ohr – so lange, bis er unwillig die Augen aufschlägt. „Guten Morgen, mein Schneck, soll ich für dich noch kleines Aufwach-Pupsi lassen?“ „Du bist so gemein!“, quengelt mein Liebster, rollt sich zu mir herüber und legt seine Arme um mich. „So gemein! Und das Wetter ist auch gemein! Plitsch, platsch, mäh. Noch a bissi kuscheln, ja?!“, brabbelt er und schmiegt sich an mich. Schnell hat er mich überzeugt, denn bei diesem Regen ist Aufstehen wirklich alles andere als verlockend und seine Nachahmerei habe ich im ohnehin schon verziehen. Nach einer wohligen, das Schreckliche aufschiebenden halben Stunde dann aber raffen wir uns doch endlich schweren Herzens hoch und krabbeln hinaus in den strömenden Regen. Ach nee, ist das ätzend: es ist kalt, dichter Nebel hängt in den Bergen, schlammige Bäche wälzen sich den Hang herab, überall steht Wasser – im Klohaus sogar knöcheltief. Unter diesen Umständen können wir eine gepflegte Abschieds-Dusche wohl vergessen, doch das ist jetzt auch schon egal. Größere Sorgen hingegen bereitet mir die bevorstehende Packaktion. Wie, in Teufels Namen, sollen wir bei diesem Pisswetter nur unser Zeug einigermaßen trocken im Gepäck verstauen? Frierend, in unsere wärmsten Jacken gehüllt, versammeln wir uns unter unserem Wellblechdächlein zu einem feucht-kühlen Frühstück und starren sorgenvoll-deprimiert hinaus in den Schnürlregen. Moment mal! Wird der etwa weniger? Tatsächlich! Als wir unser Morgenmahl beendet haben, versiegt der Himmelsquell und der Sonne gelingt es sogar, ein paar wärmende Strahlen durch die dichte Wolkendecke zu zwängen. Rasch springen wir auf und nutzen die Gunst dieses niederschlagsfreien Zeitfensters, um unser umfangreiches Equipment transporttauglich zu verpacken. Gerade stopfe ich meine letzten Besitztümer in meine bereits gut gefüllte Tasche, als eine wohlbekannte Quäkstimme mein Trommelfell penetriert: oh nein, das ist Einschieh! „Na, aber hallo, so sieht man sich wieder, was!? Da habt ihr euch aber ein Wetter ausgesucht, haha! Ich beneide mich ja richtig um mein Wohnmobil in solchen Momenten, hähä! Müsst ihr denn schon abreisen? Also ich, ich fahre jetzt dann hoch nach Etosha. Wart ihr schon mal in Etosha? Das muss man gesehen haben…“ Brabrabra, laber, schwall. Wie kann man derart penetrant so viel selbstgefälliges Gesabbel von sich geben? Das ertrage ich nicht länger! Entnervt greife ich mir die Tüte mit meinen gehüteten Heimflug-Klamotten, hechte ins überflutete Waschhaus und springe auf den Klodeckel, um mich trockener Füße umziehen zu können. Dort harre ich dann aus, bis dieses unsägliche Weib mitsamt ihrer ohrenschmerzenden Besserwisser-Stimme endlich nicht mehr zu hören ist. Mit hochgekrempelten Hosenbeinen wate ich dann durch den Schlamm im Sanitärgebäude, luge vorsichtig ums Eck, um mich zu vergewissern, dass Einschieh tatsächlich fort ist.

Wolken bis zum Zelt
Der Berg kommt runter
und verschwindet im Abgrund
Lichtet sich da was?













 Ja, ja, ja, sie ist weg! Mit meinem total verdreckten Handtuch säubere ich nun meine Zehen, ziehe Socken und Schuhe an, verstaue die abgelegte Kleidung und das Handtuch noch in der Tasche, dann ziehe ich den Reissverschluss zu, schließe das Schloss und – fertig! „Können wir fahren?“ „Wir warten nur auf dich!“ „Na, aber hallo, ich bin doch da!“, echoe ich und imitiere Einschiehs quäkende Blechstimme. „Müssen wir denn wirklich schon abreisen? Da beneide ich mich ja richtig um meinen trockenen Sitzplatz im Flieger. Seid ihr denn schon mal geflogen? Also, das muss man mal gemacht haben…!“ Lachend steigen wir ins Auto und brausen vom Platz, gerade rechtzeitig, als es wieder zu regnen beginnt. Tja, so schließen sich gleich mehrere Kreise. Der vorurlaubliche Regen hat uns eine wunderschöne, grüne Reise beschert, uns persönlich aber weitestgehend verschont – jetzt ist er wieder da. Einschieh beglückte uns auch am Anfang unserer Tour und trat an deren Ende ebenfalls erneut in Erscheinung. Auf diesen Kreisschluss allerdings hätten wir gut und gerne verzichten können. Das Positive daran: man begegnet sich immer zweimal im Leben; das also hätten wir immerhin hinter uns! Ich seufze erleichtert, lehne mich entspannt zurück, als uns Einschiehs Rache doch noch ereilt. Genauer gesagt, mich. Der heftige Regen sammelt sich als Riesensee im hinteren Textilverdeck unserer Safariluke, das Wasser sucht sich einen Weg – und landet zielgenau auf meinem Oberschenkel. Danke Einschieh! Etwas durchfeuchtet, ich, die anderen ja nicht, kommen wir am Flughafen an, laden Heinz’ und mein Gepäck aus (Annette und Jochen bleiben noch eine Woche) und entern zu Viert das Terminal. In einem recht sterilen Snack-Schuppen setzen wir uns zu einem letzten gemeinsamen Mittagsmahl an einen Tisch, dann aber wird es Zeit für den endgültigen Abschied. Annette und Jochen müssen weiter – sie wollen heute noch nach Botswana – und Heinz und ich sollten allmählich mal einchecken. Wir drücken uns innig, dann gehen wir unserer Wege. Unsere Freunde hinaus in den Regen,

Das Wasser versickert langsam
Dieses Chaos muss gepackt werden
Regenpause = Jetzt schnell packen!










Heinz und ich hingegen treten die weite Rückreise nach München an, die, und da habe ich erneut Einschieh im Verdacht, verdammt anstrengend werden soll: am Check-In stehen wir natürlich wieder in der langsamsten Schlange, die schwarze Airline-Lady mit den schweren, schläfrigen Lidern ist ein echtes Retard-Modell… Als wir endlich drankommen, lege ich unsere Papiere auf den Tresen, die mit quälender Langsamkeit umsortiert werden. Erst als die Schnecke die Hand zur Tastatur bewegt und im Adler-Such-System die ersten drei Tasten angeschlagen hat, tue ich meinen Wunsch nach einem Gangplatz kund. Im Zeitlupentempo hebt sie den Kopf, sieht mich behäbig an und meint: „Too late, Madam, I already booked you.“ Was? Wie? Und vor allen Dingen, wann? Scheiße, da hat uns die Trantüte völlig unbemerkt und in Lichtgeschwindigkeit für alle zwei Flüge in die Mitte einer Viererreihe gesetzt! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Doch das hilft jetzt alles nichts mehr, wir müssen da durch. Der Flug Windhoek-Johannesburg geht noch, er dauert ja nicht lange, dann aber wird es wirklich grottig. Man könnte es auch als sitznachbarlichen Super-GAU des Langstreckenfluges bezeichnen. Neben mir sitzt ein Typ Frau, den ich allein aufgrund der schieren Optik sofort in eine bestimmte Schublade stecke. Zu recht, wie sich sehr bald herausstellt. Die „Dame“ hat gefärbte, rabenschwarze, strähnige Haare, ein Ansatz undefinierbarer Farbe zeigt sich zentimeterbreit am Scheitel, ihre Gesichtshaut ist, wahrscheinlich wegen eines dauerhaften Überangebotes an freier Zeit, sonnengegerbt und ähnelt einem Lederapfel im Frühling, lässt sie aussehen wie Mitte vierzig, obwohl sie sicher erst um die dreißig ist. Sie trägt eine schwarze Lederjacke, die nicht nur gebraucht aussieht, sondern auch so riecht. In unseren Gefilden treiben sich derlei Frauen gerne in Parks oder an Endhaltestellen herum, führen zumeist struppige Köter mit sich, die rotweiße Tücher als Halsband tragen, während sich Frauchen um zehn Uhr morgens schon die erste Flasche Augustiner Hell einpfeift und sich mit einem ungepflegten Charly lauthals streitet. Und tatsächlich: wir sind noch nicht gestartet, als von weiter hinten so ein Charly antanzt und von der raustimmigen Lady unfreundlich gebeten wird, ihr doch bei der Saftschubse endlich einen Whisky zu organisieren; oder besser gleich mehrere. Bingo!

Heinz hat es nicht besser getroffen: seine Sitznachbarin ist eine pikiert wirkende, aufgedonnerte Trulla Mitte dreißig, die einen Hausanzug aus Nicky-Stoff und hellblauen Lidschatten trägt und in einer Wanne schwersten Parfums gebadet haben muss. Ihre strassverzierten Kunstkrallen und der protzige Goldschmuck lassen bei mir die nächste Schublade aufgehen. Russin, Goldener Arsch. Letzteres bezeichnet in unserem Sprachgebrauch eine zweite Ehefrau, zu deren Gunsten die erste, langgediente entsorgt wird. Meist ist der Goldene Arsch um vieles jünger als die alte Alte, stammt, der anhaftenden Exotik und vermeintlichen Anspruchslosigkeit wegen, aus einem anderen Kulturkreis, wird nach Strich und Faden verwöhnt und entwickelt sich in der Folge immer mehr zur fordernden Zicke. Und schon wieder bingo! In der Reihe vor uns sitzt ein glatzköpfiger, schmerbäuchiger Sechziger, der offenbar zu Heinz’ Nachbarin gehört. Als die Anschnallzeichen erlöschen, ordert er reichlich Wodka für die Tusnelda, holt ihre Handtasche aus dem Gepäckfach, wartet, bis sie fünf Tabletten mit dem Alkohol hinuntergespült hat, verstaut das Täschchen wieder und deckt dann die Holde mit einem mitgebrachten Flauschedeckchen zu. „Schlaf gut, Schatzi!“, flüstert der Gatte zärtlich. „Weißt du, dass iccccch niccccht schlafän kann in Flugzeig!“, ranzt Schatzi zurück. Spricht’s und fällt augenblicklich in tiefen Tabletten-Wodka-Schlaf, während meine Sitznachbarin bereits süße Whisky-Träume träumt und vernehmlich schnarcht. Wie festgetackert verbringen Heinz und ich die nächsten neun Stunden, gefangen von zwei Schnapsdrosseln. Ich schwöre mir, nie, nie wieder in Urlaub zu fliegen…

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